100 Zeilen in 1 Stunde? Hacks für alle, die schneller schreiben wollen
Nie wieder Angst vor knappen Deadlines.
Hi und herzlich willkommen zu TextHacks! Diese Woche wollen wir schneller schreiben. Und das erinnerte mich beim Redigieren der Tipps an mein Volo in Köln. Ich kam gerade zurück vom Rosenmontagszug, Zitat Ressortleiter: ‚Ich hab dir 250 Zeilen aufgezogen, du hast 1,5h Zeit, schneller wäre besser.‘
Die Tipps kommen heute von Andreas Thieme, Redakteur in der Lokalredaktion vom Münchner Merkur und der tz und Koordinator der Schlussredaktion. An der Akademie der Bayerischen Presse (ABP) gibt er sein Wissen weiter, zu den Thema schneller schreiben und Polizeireporter. Seine Beispiele sind aus dem Lokaljournalismus, die meisten Tipps funktionieren aber auch für eure Marketing-und PR-Texte.
So schreibt ihr eure Texte schneller:
Gerade vom Termin zurück, schon naht der Redaktionsschluss der Zeitung. Oder der Text muss sobald wie möglich online erscheinen. Wie schafft man es nach Terminen in nur einer Stunde einen möglichst guten Text abzuliefern? Wie strukturiert man ihn? Und wie nutzt man die wenige Zeit möglichst produktiv?
Hier sind einige praxiserprobte Strategien, die sich im Redaktionsalltag bewährt haben:
Vom Termin zurück:
Zwei Stunden Pressekonferenz – und jetzt? Wie soll man all das Gehörte verarbeiten, all die Fakten und Zitate? Eine wichtige Voraussetzung ist: Umso mehr man vorher über das Thema weiß, desto weniger muss man aufnehmen. Vorbereitung hilft hier enorm. Und: Bitte nicht 15 Seiten handschriftlich mitschreiben. Maximal drei handschriftliche oder zwei computergetippte Seiten ist eine realistische Menge, die man danach in einen Text gießen kann. Wenn man die Notizen durchgeht, nur die wichtigsten Stellen markieren. So kristallisieren sich schnell drei bis vier thematische Blöcke heraus, die das Gerüst des Textes bilden. Wer diese Blöcke konsequent bedient (mit je ein bis zwei Absätzen), hat schon ziemlich viel Text. Die Kunst liegt hier also nicht darin, möglichst viele Notizen zu machen, sondern die Notizen thematisch zu sortieren – bestenfalls schon beim Zuhören. Ich persönliche arbeite oft mit Audioaufzeichnungen und schreibe nur Kernaussagen oder deren Zeiten mit, so dass ich gezielt nachhören kann und beim Wortlaut sicher bin.
Ideen intuitiv verschriftlichen:
Zu Beginn ein Piraten-Tipp. Was einem am stärksten im Kopf ist: Bitte einfach runterschreiben. Ein, zwei, drei Absätze. Gar kein Problem. Denn entweder diese Elemente werden ohnehin das Herzstück des Textes. Oder sie ergänzen ihn später sinnvoll. Der Vorteil: Man wird gedanklich freier und erstmal Ballast los. Danach kann man sich viel besser sortieren.
Sich das Ziel klarmachen:
100 Zeilen zu einem Thema schreiben? Nachwuchs-Journalisten verzweifeln manchmal an der Aufgabenstellung. Hier hilft es, vom Ende her zu denken. 100 Zeilen bedeutet fünf, maximal sechs Absätze. Daraus folgt, dieser Text kann schon rein formal nicht unendlich viele Ansätze oder Aspekte haben. Sondern die Form bestimmt den Inhalt: Es gibt ziemlich sicher ein Hauptthema oder eine bestimmte Fragestellung, die im Vordergrund steht. Das wird mit drei Absätzen bearbeitet, die weiteren knüpfen daran an oder sind Teilaspekte. Zudem braucht man eine Hinführung zum Thema: meist ein aktueller Anlass oder ein Problem, das aufgetreten ist. Der Schluss ist entweder eine Beantwortung der Frage, das Aufwerfen weiterer Fragen, eine Prognose oder ein Urteil. Im Folgenden schauen wir uns das an einem thematischen Beispiel an – dem Fall Hubert Aiwanger.
Die richtigen Fragen stellen:
Aiwangers Flugblatt-Affäre bietet eine sehr klare thematische Struktur. Es bieten sich fünf bis sieben Themen-Blöcke an, die man recht einfach findet, wenn man dazu die richtigen Fragen stellt. Wer diese in je einem Absatz beantwortet, schreibt problemlos 80 bis 120 Zeilen in kurzer Zeit.
Der Tatvorwurf: Was ist mutmaßlich vorgefallen und wann? Welche Fakten sind bekannt?
Wie hat Aiwanger dazu Stellung genommen?
Was sagen frühere Weggefährten und Zeugen zur Sache? Was sagt die Polizei, was Behörden?
Wie reagiert Aiwangers Partei? Und wie politische Gegner?
Was hat der Vorfall womöglich für Konsequenzen?
Gab es schonmal ähnliche Vorfälle von Politikern und wie sind diese ausgegangen?
Wie geht der politische Alltag vorerst weiter für Aiwanger? Wie geht die Sache an sich weiter?
Strukturell haben wir folgende Reihenfolge in den sieben Fragen: Zunächst geht es um den Vorfall und die Fakten (1), danach um die Reaktionen (2,3,4 – untergliedert in drei Kontexte), anschließend um die Konsequenzen (5). Hier könnte der Text enden. Optional ist die Einordnung und Vergleichbarkeit des Falles (6). Ob ein Ausblick (7) gelingt, hängt meist von der Informationslage ab.
Tempo durch Textstruktur:
Mit den genannten Fragen gliedert man gleichzeitig den Text mit – so entsteht eine sinnvolle Struktur. Wie viel man schreibt, hängt am Ende auch von der Frage ab, wie viel Platz man etwa den Reaktionen einräumen will: Reicht hier das Statement von Aiwanger und den Freien Wählern? Oder gibt man auch seinen politischen Gegnern Platz? Die einzelnen Bausteine sind variabel: Natürlich könnte der Text auch mit einem Statement von Aiwanger (2) anfangen und man erklärt danach die Hintergründe (1).
Der Vorteil ist: Mit der richtigen Struktur spart man enorm viel Zeit. Die einzelnen Absätze ordnet man den thematischen Aspekten zu und legt ihre ungefähre Reihenfolge und den Umfang fest. So entsteht ein strukturelles Gerüst, das den Text trägt. Ändert sich der Plan während des Schreibens etwas, ist das kein Problem. Das gilt leider nicht für eine fehlende Struktur: Wer merkt, dass er ohne innerliches Navi losgeschrieben hat und auf Glatteis gerät, kann das oft nur sehr schwerlich korrigieren – und verliert viel Zeit.
Den richtigen Fokus setzen:
Sehr gute Texte verblüffen durch ihre Präzision. Der gezielte Fokus auf ein Thema ist entscheidend. Was auch heißt, sich sehr konkret festzulegen – und meist 95 Prozent der möglichen Inhalte auszuschließen. Was dabei hilft: Den Fokus in Zeile und Teaser festzulegen. „Warum ist unsere Fußball-Nationalmannschaft nicht mehr so erfolgreich?” ist zum Beispiel keine gute Frage, weil das Thema viel zu breit ist.
Die Pomodori-Methode:
Stundenlang an einem Text feilen? Das funktioniert vor allem im Großraumbüro selten. Effektiver ist, den Schreibprozess in einzelne Schritte zu zerlegen. Ich empfehle dafür die Pomodori-Methode: 25 Minuten konzentriert arbeiten, danach fünf Minuten Pause. Was schafft man in dieser Zeit? In einem ersten Schritt kann man sein Material sortieren, eine Artikel-Skizze erstellen und einen Teaser schreiben. Quasi den Rahmen festlegen, den man danach mit Inhalt füllt. Im zweiten Block formuliert man dann einige Absätze entwurfsmäßig aus, im dritten Schritt glättet man den Text und arbeitet noch Aspekte ein. In 90 Minuten kann man so viel aufs Papier bringen. Wer geübt ist, kann auch schneller vorgehen: Vier bis fünf Absätze in den ersten 25 Minuten „wegschreiben“, kurze Pause, danach weitere Absätze oder Aspekte ergänzen und Fehler ausbessern. Wenn man gut im Thema ist, sind in einer Stunde dann locker 100 Zeilen drin.
Die Zwei-Fenster-Taktik:
Wenn man von aktuellen Events berichtet, kann es helfen, zwei Wordfenster am Desktop anzulegen. In eins schreibt man seine Notizen und in das andere den geplanten Text. So kann man jederzeit abgleichen, wo man gerade steht. Was habe ich schon? Und was muss noch rein in den Text? Beim Schreibprozess hat es große Vorteile, wenn man nicht ständig zwischen Notizen und aktuellem Text in einem Dokument hin- und herwechseln muss.
Hintergründe vorschreiben:
Ohne richtige Vorbereitung klappt wenig. Bis zu zwei Dritteln von Texten schreiben Profis bei aktuellen Terminen vor. Das meiste sind Hintergründe. Eigentlich ein ungünstiges Verhältnis – es dient zunächst der Sicherheit. Doch so weiß man: Selbst, wenn ein Gesprächstermin nach einer PK wegbricht, schafft man es, einen Text abzuliefern. Die Hintergründe kann man später gut wieder kürzen, wenn man viel „frisches“ Material bekommen hat. Am Ende landet man oft bei einem Verhältnis von zwei Drittel Aktuellem und einem Drittel Hintergründen.
Vielen Dank, Andreas! Ich ergänze noch einen Tipp: Schreibt zuerst die Zwischenüberschriften. Alles, was nicht dazu passt, kann weg. In diesem Sinne: schönes schnell schreiben! Liebe Grüße, Anne-Kathrin