Hi und willkommen zu Texthacks. Wäre dieser Newsletter eine schlechte Reportage, würde er so beginnen: Nachdenklich rührte ich in meinem Kaffee, während draußen die Regentropfen an mein Fenster prasselten. Es ist aber Sommer und ich trinke keinen Kaffee, deshalb gibt es heute 11 Hacks für wirklich gute Reportagen. Und zwar mit einem Journalisten, der das besser kann als ich: Ariel Hauptmeier. Er leitet die Reportageschule in Reutlingen, ist einer der Macher des Reporter:innen-Forums und gibt leidenschaftlich gern Schreibkurse. Besonders effizient: Sein Zoom-Workshop „Besser schreiben in einem Tag“. Infos unter www.schreiben.jetzt
11 Zutaten für gelungene Reportagen:
Reportagen brauchen:
📍 echte Menschen. Mit echten Wünschen, Gefühlen, Erlebnissen. Sie kennenzulernen braucht Geduld und den Mut, auch schwierige Fragen zu stellen. Hilfreich: ein vertrauliches Hintergrundgespräch mit einem Weggefährten.
📍 Handlung. Dabei sein. Zuschauen, vielleicht sogar mit anpacken. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Frag gleich beim ersten Kontakt: „Was sind Ihre nächsten Termine?“
📍 Szenen. Sie sind das Gerüst einer jeden Reportage. Jene Momente, in denen etwas passiert. Gute Reportagen funktionieren wie gute Filme: Wenig Erklärung, viel Handlung.
📍 Dramaturgie. Auch das kennst du aus Filmen: Das geschickte Anordnen der Szenen. Drei Tipps: In der Mitte beginnen, nicht am Anfang; ein Cliffhanger, der das Publikum durch den Text trägt; ein überraschendes Ende.
📍 Details. Sie geben deiner Reportage Farbe. Sie können berühren. Ein vertrockneter Weihnachtsbaum, der im Juli im Wohnzimmer des Vaters steht, darunter zwei Osternester.
📍Das führt zu einem weiteren Grundsatz: Show don’t tell. Falsch: Sie ist nervös. Besser: Sie kaut an ihren Fingernägel, rutscht auf dem Stuhl herum, schaut andauernd aufs Handy.
📍 Relevanz. Ein Tag im Tierheim? Nun ja. Der letzte Hufschmied? Schwierig. Gut sind Reportagen, in denen etwas auf dem Spiel steht. Ist das Thema aktuell? Gibt es einen Konflikt? Betrifft es viele Menschen? Was ist neu?
📍 Bedeutung. Ein spannender Einzelfall ist gut. Aber für was steht er? Um was geht es wirklich? Das führt zur „zweiten Ebene“, wie wir Reporter:innen sagen. Sie gibt deiner Story Tiefe. Nimm die Stieg-Larsson-Trilogie. Ist es nur ein Krimi – oder eine moderne Pippi-Langstrumpf-Story?
📍 den richtigen Sound. Klare, einfache Sätze. Der einfachste Weg dahin: Verwende nur kurze Wörter, mit möglichst wenig Silben.
📍 Echte Zitate, noch besser: Dialoge. Die schwächsten Zitate sind meistens: Antworten auf Journalistenfragen. Besser: Dabeisein, Klappe halten, zuhören – und so die echte Sprache echter Menschen einfangen.
📍 Ausdauer. Wer verstehen will, muss hinfahren. Noch besser: mehrmals hinfahren. Dann wird der Reportage-Engel zu dir herabschweben und dir beistehen. Und du wirst Dinge erleben, mit denen du nie gerechnet hättest.
Vielen Dank, Ariel! Mein Tipp: lesen, starke Stellen markieren, Lieblingstexte analysieren: Wie steigt die Autorin ein? Wie ordnet sie die Absätze an? Was sind Sätze, die hängenbleiben? An dieser Stelle empfehle ich den Newsletter Reportagen.FM, dort gibt es jede Woche 3 Empfehlungen.
Aus dem Archiv
Für alle neuen Subscriber*innen (Hi!) folgen hier ein paar ältere Hacks:
💡 Durchsuche dein Dokument am Ende nach den häufigsten Füllwörtern: auch, noch, schon, aber, vielleicht, sogar. Formuliere den Satz ohne Wort und prüfe, ob sich der Sinn verändert. Gerade das Wort “auch” ist selten nötig.
💡 Wer zögert, streicht. Wenn du unsicher bist, ob dieser Satz, dieses Thema, diese Expertin wichtig ist, sofort weg damit. Bist du unsicher, ob ein Absatz wirklich weg kann, pack ihn unten ins Dokument in die Rubrik “Stehsatz für später”. Lies am Ende deinen Text. Ist er rund? Vergiss den Stehsatz.
💡 Sortier deinen Text: Gehört alles zusammen, was zusammen gehört? Personen sollten an einer Stelle im Text auftauchen, Oberthemen im gleichen Absatz, sonst sieht dein Text aus wie mein Kleiderschrank. Hack für Info-Texte: Schreib zuerst eine Überschrift zu jedem Absatz, dann sind die Themen klar sortiert. Und du hast automatisch Zwischenüberschriften. Hack für Essays und Reportagen: Druck den Text und schneide Absätze aus, sortier sie auf dem Boden neu.
Dieser Newsletter endet nun mit einer klassischen Klammer. Ich trinke weiter meinen Tee, es regnet immer noch nicht und wir lesen uns hier wieder in 1-2 Wochen. Viele Grüße, Anne-Kathrin