Der Anti-Schreib-Blockade-Trick
Plus: 1 Jahr ChatGPT-Regeln // peinliches Feedback für meinen Einstieg
Willkommen zu TextHacks! Vergangene Woche habe ich dieses Feedback erhalten:
Zurecht. Ich möchte mein Fehlverhalten nutzen, um Werbung für einen Lieblings-Hack zu machen: Achtet besonders auf eure ersten Sätze. Die könnt ihr so oft streichen.
In der heutigen Ausgabe schauen wir auf:
Was ist in den letzten 12 Monaten in der ChatGPT-Welt passiert?
Was könnt ihr gegen Schreibblockaden tun?
Was bleibt von der ROMANE-Regel?
Vor genau einem Jahr hat der Journalist Jan Eggers in TextHacks seine ROMANE-Regel erklärt und 5 Mini-Hacks für ChatGPT verraten. Jetzt hat er überprüft, ob sich die Regel bewährt hat.
Jan nennt zwei Punkte, die er aktuell wichtig findet:
Prompts testen:
“Das fehlt in der ROMANE-Formel: die Empfehlung, sich an Lösungen heranzutasten, Verbesserungen von der KI zu erfragen, iterativ zu arbeiten – und die Ergebnisse systematisch zu testen: Wenn die KI beispielsweise die Qualität eines Nachrichtentextes beurteilen oder eine Nutzermail klassifizieren soll, ist es eine gute Idee, Beispiele und gewünschte Ergebnisse zu einem Testdatensatz zusammenzufassen und Prompts daran zu messen.”
Kurze Prompts schreiben
“Tatsächlich sollten Prompts nicht zu lang werden: Die Ergebnisse werden nachweislich schlechter, und Sprachmodelle neigen dazu, den Mittelteil eines Prompts weniger stark zu beachten oder ganz zu übersehen.”
Die gesamte Analyse findet ihr in seinem Blog.
Was tun gegen meine Schreibblockade?
Diese Frage beantwortet heute Heike Faller, Wer neu dabei ist: Heike Faller ist Henri-Nannen-Preisträgerin, arbeitet als Autorin beim Zeit Magazin und berät immer wieder Menschen, wie sie gute Texte schreiben. (Ihr könnt euch übrigens hier bei ihr melden). Ich übergebe an Heike:
Joseph Mitchell, festangestellter Autor beim New Yorker, schrieb seinen letzten Text, ein Porträt, 1964. Danach fuhr er weiterhin jeden Tag zur Arbeit, er ging Mittagessen, er plauderte mit Kollegen – aber er veröffentlichte bis zu seiner Pensionierung nie wieder etwas. Die war 1996. Joseph Mitchell, dessen Reportagen als er noch welche schrieb, wirklich sehr toll waren, ist als der Reporter mit der längsten Schreibblockade der Welt in die Journalismusgeschichte eingegangen.
Hahaha, denkst du jetzt, das waren die goldenen Zeiten, eine Schreibblockade kann ich mir nicht erlauben. Allerdings geht es dir genau genommen oft so, dass du nicht so richtig weißt, wie du anfangen sollst und länger über deinem Text grübelst als notwendig – dann versuch es mal mit dem Fragen-Trick.
Das ist ein es ein einfaches Mittel, mit dem ich selbst gern arbeite: Man stellt sich selbst eine Frage und schreibt die Antworten dazu auf. Dann nimmt man die Fragen raus und die Antworten ergeben häufig schon einen Text.
Warum funktioniert das so gut? Weil eine Frage den Text ganz wie von alleine sortiert. Oft steht sie sogar in der Unterzeile. Der Text handelt dann nicht von allem Möglichen (von dem man gar nicht weiß, wie man es sortieren soll), sondern er gibt verschiedenen Antworten auf eine Frage. Wer seine Frage kennt, weiß, welche Antworten er in seinem Text gibt – das macht das Anfangen und Sortieren viel leichter. Denn Schreibblockaden bedeuten nach meiner Beobachtung oft, dass man nicht genau weiß, was man eigentlich erzählen will und in welcher Reihenfolge.
Ein paar Beispiele:
Ein journalistisches Porträt stellt häufig nur eine einzige Frage und zwar an den Protagonisten („Wie geht Fußballer XY damit um, dass eine Verletzung seine Karriere bedroht). Jeder Absatz gibt dann – verkleidet in Szenen, Zitate, Beobachtungen, verschiedene Antworten auf die Frage. Die Frage ist einfach, die Antworten sind vielschichtig.
Das gilt ebenso für kürzere Texte: Ein Dreispalter in einem Lokalteil ist spannender, wenn eine Frage durch den Text leitet. „Verschiedene Aspekte die Gemeinderatssitzung“ ist unstrukturiert und potenziell unspannend, die Frage „wie geht der neue Gemeinderat damit um, dass erstmals ein AfD-Mitglied dabei ist“, ist interessant und gibt dem Text Dynamik.
Selbst große Theaterstücke oder Filme beantworten häufig nur eine einzige Frage. Es ist die Frage, die der Protagonist an sein Leben hat, auch genannt „der Konflikt“. Romeo und Julia zum Beispiel: „Ist unsere Liebe stark genug, um den Hass und die Gewalt zwischen unseren Familien zu überwinden? Oder Pretty Woman: „Kann Liebe soziale Unterschiede überwinden und zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen Welten vereinen?“
Aber die Frage kann mehr. Auch eine ganz normale Geburtagsrede kann an einer Frage aufgezogen werden: „Papa ist ein Mann voller kleiner Eigenheiten. Was sind die lustigsten Versehen, Zwischenfälle und Missgeschicke aus 70 Jahren Papa?“
Oder ein PR-Text könnte die Frage beantworten: „Warum ist die neue Digital-Plattform aus Deutschland so toll und warum ist sie vertrauenswürdiger als die aus den USA?“
Du siehst, egal an welchem Schreibtisch du also gerade sitzt und nicht weißt, wie du anfangen sollst: Mit der Frageform kommst zu ziemlich sicher schneller ins Schreiben.
Und das geht in drei Schritten so:
1. Finde eine Frage. Das ist häufig eine ganz einfache oder allgemeine Frage.
2 . Dann schreib die Antworten hin, je nach Genre gibst du diese Antworten ganz direkt oder – bei Porträts, Reportagen, Theaterstrücken – verwandelst sie in Szenen.
3. Noch leichter geht es, wenn du dich von einem klugen Freund befragen lässt und deine Antworten an diese Person schickst. Gute Texte schreiben sich leichter mit einem konkreten Empfänger, aber davon ein anderes Mal mehr.
Und wenn du zufällig im Lokalen arbeitest, dann kannst du dir das auch in einem Workshop mir mir üben, den ich 2. September beim Medien-Insider gebe:
https://medieninsider.com/events/
Vielen Dank, Heike! Übrigens habe ich vergangene Woche viele Zuschriften zum Thema Füllsätze und Füllwörter bekommen. Und damit zur Frage: Wann sind Füllwörter nötige Höflichkeit? Ich bastele dazu mal an einer neuen Folge.
Bis dahin liebe Grüße, Anne-Kathrin
Joseph Mitchell made my day.