Die Satz-Aufbau-Formel für Fortgeschrittene
Wie lang? Wo steht das Verb? Nebensätze vs. Hauptsätze
Hi und herzlich willkommen zu TextHacks! Vergangene Woche habe ich zum ersten Mal aus meinem Newsletter einen Vortrag gebastelt und bei der re:publica präsentiert. Und es sind SO viele Menschen gekommen, die fast aus der Halle rausstanden. Noch mehr gefreut habe ich mich, ein paar von euch endlich persönlich kennenzulernen <3
Falls ihr nicht dabei sein konntet: Hier findet ihr meinen Vortrag “Nie mehr mittelmäßige Texte ins Internet schreiben - auch nicht in dein Datingprofil” als Video.
Außerdem danke ich euch für das Feedback zur ChatGPT-Folge. Weitere Folgen sind in Arbeit. Falls ihr selber experimentiert und eure Hacks teilen wollt, schreibt mir gerne.
Und jetzt zum Inhalt. Diese Woche mit einem Thema, das jeden betrifft: Sätze schreiben. Präsentiert von Ariel Hauptmeier. Er leitet die Reportageschule in Reutlingen und bildet dort Reporter:innen aus. Wer Erfahrung mitbringt, kann sich dort bis zum 15. Juli bewerben und lernt binnen eines Jahres eleganter zu schreiben, tiefer zu recherchieren, interessantere Podcasts zu produzieren.
Was ist ein guter Satz?
Ich möchte euch nicht mit Wolf-Schneider-Dogmen langweilen („Hauptsachen in Hauptsätze“). Lasst uns lieber schauen, wie es ein guter Autor macht: Wolfgang Herrndorf, in „Tschick“.
So beginnt das Buch:
„Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee. Die Kaffeemaschine steht drüben auf dem Tisch, und das Blut ist in meinen Schuhen. Um ehrlich zu sein, es ist nicht nur Blut. Als der Ältere „vierzehn“ gesagt hat, hab ich mir in die Hose gepisst. Ich hab die ganze Zeit schräg auf dem Hocker gehangen und mich nicht gerührt. Mir war schwindlig. Ich hab versucht auszusehen, wie ich gedacht hab, dass Tschick wahrscheinlich aussieht, wenn einer „vierzehn“ zu ihm sagt, und dann hab ich mir vor Angst in die Hose gepisst. Maik Klingenberg, der Held. Dabei weiß ich gar nicht, warum jetzt die Aufregung. War doch die ganze Zeit klar, dass es so endet. Tschick hat sich mit Sicherheit nicht in die Hose gepisst.“
Gern noch mal lesen. Bitte nur mal auf den Satzbau achten. Was fällt euch auf?
Mir sind sieben Dinge aufgefallen.
Und die lassen sich verallgemeinern:
1. Einfachheit. Es gilt die alte Formel: Nimm einfache Worte und erzähl mir überraschende Dinge. Wie Herrndorf: „Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee.“
2. Spiel mit den Satzlängen. Auf längere folgen kurze Sätzen. „Ich hab die ganze Zeit schräg auf dem Hocker gehangen und mich nicht gerührt. Mir war schwindlig.“
3. Hau auch mal eine Ellipse rein, einen grammatikalisch unvollständigen Satz. Gibt noch mehr Schwung. Auf den sehr langen Satz folgt: „Maik Klingenberg, der Held.“
4. Überhaupt, Variation: Achte darauf, deine Sätze unterschiedlich zu beginnen. Mal mit dem Subjekt – „Die Kaffeemaschine“ – mal mit dem Objekt – „Mir“ – oder sogar mit dem Verb – „War“. Auch das macht Sprache interessant.
5. Das Deutsche ist super flexibel, was die Satzstellung angeht. Es gibt die klassische Grundstellung mit Subjekt und Verb am Anfang – „Das Blut ist in meinen Schuhen“, und es gibt die Ausdruckstellung. Dabei steht das, was ich betonen möchte, am Anfang.
Grundstellung wäre: „Der Geruch von Blut und Kaffee ist als Erstes da.“
Aber Herrndorf beginnt mit der zeitlichen Bestimmung: „Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee.“
6. Jetzt doch mal ein Wolf Schneider-Diktum: „Der vorangestellte Nebensatz kann den Satzbau beleben – falls er kurz ist“.
Statt: „Es ist nicht nur Blut, um ehrlich zu sein.“
Macht Herrndorf: „Um ehrlich zu sein, es ist nicht nur Blut.“
7. Und schließlich ein klassischer Trick: Du beendest deinen Absatz mit einem Schlüsselwort. Das hallt nach. In diesem Fall, in der dritten Wiederholung: „gepisst“.
Vielen Dank, Ariel! Falls ihr eure Sätze künftig in Romane oder Sachbücher packen wollt, schaut euch diese Masterclass seiner Reportageschule an!
Ansonsten wünsche ich euch eine schöne Woche mit abwechslungsreichen Sätzen! Liebe Grüße vom Templiner See, Anne-Kathrin
Danke! Ich liebe solche Analysen. Sie helfen, die eigene Sprache zu beleben.