Die umgedrehte Pyramide: Wenn der letzte Satz knallen muss
Informieren vs. überzeugen: So baust du Texte nach dem Zielsatz-Prinzip auf
Hallo und herzlich willkommen zu TextHacks! Diese Woche mit einem Thema, das mir eher selten am Herzen liegt: der letzte Satz. Den halte ich meistens für überbewertet, habe mich aber von einem Experten überzeugen lassen. Bevor ihr das auch tut, folgt ein kleiner Werbeblock...
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In sehr vielen Ausgaben habe ich geschrieben, dass ihr eure wichtigsten Infos in den ersten Absatz packen sollt. Zumindest dann, wenn ihr Leute informieren wollt.
In der heutigen Ausgabe geht es nun darum, Menschen nicht zu informieren, sondern sie zu überzeugen. Als Pilotin eines Flugzeugs, das gleich abstürzt, als CEO in eurer Keynote oder als Krisenkommunikatorin.
Diese Folge stammt von Dr. Stefan Wachtel. Er ist Executive Coach und Vortragsredner. Als Rhetorik-Trainer coacht er Konzernvorstände von DAX-Unternehmen und Partner in Strategieberatungen.
Ich übergeben an Stefan. Seine heutigen Hacks stammen aus seinem Buch “Das Zielsatz-Prinzip – Wie Pointierung unsere Wirkung erhöht”.
Irreführender Imperativ: „Das Wichtigste zuerst!“
Im Alltag reden wir häufig assoziativ, reihen Aussagen wie in Kästen aneinander, werden am Ende breit statt spitz. Wenn wir überhaupt einem Konzept folgen, dann diesem: „Sagen Sie das Wichtigste zuerst!“ Diesen Imperativ haben wir als höchste Tugend verinnerlicht. Und dementsprechend legen wir, wenn wir etwas sagen, gern so los: „Meine These ist die folgende ...“ oder„Ich lehne den Vorschlag entschieden ab, weil ...“ Die Struktur ist immer dieselbe: Im ersten Satz kommt der Kern der Aussage, danach die Begründung. So haben wir es schon in der Schule gelernt.
Primat der Pyramide: Nur informieren
Die Pyramidenstruktur erweist sich täglich als passend für Rapporte und Informationspräsentationen aller Art. Auch Pressenachrichten sind so aufgebaut, und nicht zuletzt Lexikonartikel. Wer in einem Lexikon „Frankfurt am Main“ nachschlägt, bekommt einen Text wie diesen zu lesen:
„Frankfurt a. M. ist mit gut 730.000 Einwohnern die größte Stadt Hessens und die fünftgrößte Stadt Deutschlands. Die kreisfreie Stadt ist Zentrum des Ballungsraums Frankfurt a. M. mit etwa 2,3 Millionen Einwohnern. In der gesamten Metropolregion Rhein-Main leben etwa 5,5 Millionen Menschen.“ – und so weiter.
Wie aber sähe derselbe Text aus, wenn er Wirkung erzielen und Menschen von Frankfurt am Main überzeugen sollte? So zum Beispiel:
„Wer Städte sucht, in denen es beschaulich zugeht, wird sicher nicht diese wählen, wer Tempo sucht, schon. Ein Ballungsraum mit 2,3 Millionen Menschen, in der Stadt selbst leben etwa 700.000. Tempo ist hier angesagt, und Höhe statt Breite, jeder kennt Bilder der Skyline. Die Stadt gehört seit dem Mittelalter zu den einflussreichsten überhaupt. Wer dort leben möchte, wo neben Berlin am meisten entschieden wird, wo Deutschland am internationalsten ist, der sollte Frankfurt am Main wählen.“
Der Aufbau ist hier umgedreht. Das Wesentliche fällt nicht mehr mit der Tür ins Haus. Die Aussage ist vielmehr angeschlossen. Der ganze Text führt zu einem Endpunkt hin. So entsteht eine umgedrehte Pyramide, eine Art Trichter, der sich im zeitlichen Verlauf der Äußerung zuspitzt. Ich nenne das das Zielsatz-Prinzip.
Rezenzeffekt: Was zuletzt kommt, wirkt am besten
Viele Studien zum Thema Eindrucksbildung belegen zum Beispiel einen so genannten Recency Effect, einen Rezenzeffekt. An später eingegangene Informationen erinnern sich Menschen demnach in der Regel besser als an früher eingegangene. Und diese Informationen – zum Beispiel Argumente in einer Rede – wirken stärker auf sie ein als früher Geäußertes.
Zur Veranschaulichung ein aktuelles Beispiel:
„Der bundesweite Shutdown im Zuge der Corona-Krise wird viele Menschenleben retten. Dafür sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen erheblich.“
„Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen sind erheblich. Dafür wird der bundesweite Shutdown im Zuge der Corona-Krise viele Menschenleben retten.
Im ersten Fall setzt die Aussage auf den Primacy-, im zweiten Fall auf den Recency-Effekt. Was wirkt langfristig stärker? Eher Aussage zwei, sollte man meinen, mit dem Zielsatz am Ende.
In Krisen gefährlich: Mit der Tür ins Haus fallen
Insbesondere in Krisensituationen macht kommunikative Anfangs- oder Schlussorientierung einen Unterschied. Nicht nur insofern, als dass die Wirkung bei ungeschicktem Aufbau ausbleiben kann, sie kann auch da sein, aber in eine völlig falsche Richtung laufen. Beispiel: Auf einem Flug gibt es ein technisches Problem. Der Pilot meldet sich:
„Hier spricht Ihr Kapitän für eine außerordentliche Mitteilung. Wir haben 'ein Triebwerk verloren'(Cockpit Slang). Also, wir mussten es abschalten. Ich bin aus rechtlichen Gründen angehalten, Sie zu informieren. Die europäische Luftfahrtbehörde schreibt diese Prozedur strikt vor. Das hatte mehrere Gründe, für deren Erklärung ich Sie um volle Aufmerksamkeit bitte. Zum einen eine Druckerhöhung, die gefährlich sein kann. Zum anderen … (Weitere Details: Backup).“
Die Nachricht ist hier roh an den Anfang gesetzt. Welcher Laie würde darauf nicht panisch reagieren? Und vor allem: Wer ist nach so einer Eröffnung überhaupt noch aufnahmefähig für das, was an weiteren Erklärungen folgt? Eben – niemand, außer vermutlich dem Kopiloten. Der Pilot spricht hier zu Passagieren wie zu seinem Kollegen vom Fach. Er sagt einfach, wie es ist – weil er kommunikativ im Expertenmodus unterwegs ist. Eine völlig andere Wirkung ließe sich dagegen so erzielen:
„Meine Damen und Herren, Sie haben es gemerkt, es ist links etwas ruhiger geworden. Wir haben hier ganz strenge Bestimmungen. Wenn es kleinste Veränderungen gibt, müssen wir etwas langsamer fliegen. Das tun wir jetzt, und es könnte sein, dass sich unsere Ankunft dadurch ein wenig nach hinten verschiebt. Wir haben das linke Triebwerk gedrosselt. Dieses Flugzeug hat mehrere Triebwerke. Sollte unser Flug etwas länger dauern, melde ich mich noch einmal.“
Reden aus Trichtern
Es gibt auch Situationen, in denen es angebracht ist, etwas flexibler mit der Trichterform umzugehen. Eine Art Zwitter-Bauform ist zum Beispiel die Raute: Sie beginnt wie die Pyramide spitz, wird dann breit, pointiert aber trotzdem am Ende. Beispiele für rhetorische Rauten findet man etwa in Form guter Reden zu Geschäftsergebnissen:
Sie beginnen mit einer aufmerksamkeitsstarken Neuigkeit. („Es war ein schwieriges Quartal“)
Dann fächern sie auf. („Dafür gab es drei Gründe: A – B – C“),
Und schließlich führen sie zum Zielsatz. („Insgesamt glauben wir, dass es ein Rekordjahr werden kann“)
Der Trichter ist dennoch das wichtigste Prinzip – nicht zuletzt bei längeren Reden. Auch diese wirken vor allem dann, wenn sie breit beginnen, Zugang schaffen, Flughöhe gewinnen, ins Detail gehen und dann beim Zielsatz landen. Zusätzlich sind hier noch einige weitere Punkte zu beachten:
Zerkleinerung. Die Erfahrung zeigt: Je kleiner die Module in einem Redekonzept sind, desto wirkungsvoller ist dessen Ergebnis. Dabei muss nicht jedes einzelne Modul einer Rede immer ein Trichter sein. Trichterfolgen können auch von Pyramiden oder Kästen unterbrochen werden – in Passagen, in denen es nur zu informieren oder aufzuzählen gilt. Beim Überzeugen. An den entscheidenden Stellen sollte es aber ein Trichter sein.
Trennung. In längeren Reden sind im Idealfall die einzelnen Module für den Hörer als solche erkennbar. Eines darf es daher nicht geben: Verbindungssätze. Denn Verbindungen erhöhen die Komplexität beim Hörverstehen. Gibt es Verbindungssätze, dann muss Vorheriges oder Folgendes mitbedacht werden, und das stört. Abgegrenzte Module wirken dagegen griffig und lassen die gesamte Rede weniger langatmig erscheinen.
Pausen. Diese sorgen dafür, dass sich Wirkung entfalten, Spannung aufbauen und nach einem Zielsatz entladen kann.
Verzicht. Dass Wirkung in Reden Zeit zur Entfaltung braucht, bringt es mit sich, sich auf wenige Inhalte beschränken zu müssen. Etwas wird eliminiert, damit das Allerletzte am stärksten wirken kann. Sich auf weniger Inhalte zu beschränken, fällt allerdings leichter, wenn man seine Aussagen auf einen Zielsatz hin ausrichtet.
Linearität. Unser Verstehen, noch dringlicher das Hörverstehen, verlangt nach Linearität. Nirgendwo ist das besser sichtbar als in Grimms Märchen: „Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wusste gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Sammet, und weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen.“ Das Entscheidende ist hier: Der zentrale Punkt ist nicht in der Mitte. Das rote Käppchen ist zwar inhaltlich zentral – aber in dem kurzen Text trotzdem nicht zentriert angebracht. Es steht am Ende – und wirkt daher umso stärker: Das Zielsatz Prinzip.
Danke Stefan!
Damit ich nun nicht stundenlang über meinen letzten Satz nachdenke, kommt hier noch eine Stellenempfehlung. In der vergangenen Ausgabe von TextHacks-Jobbörse auf LinkedIn gab’s wieder sehr viele Stellenausschreibungen und Texterangebote. Künftig werde ich das Posting mit den meisten Likes auch im Newsletter teilen, und los geht’s mit diesem von Lisanne Holz:
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit, liebe Grüße, Anne-Kathrin