Nein, niemand liest deinen gesamten Text (also hör auf, ihn so zu schreiben)
Plus: 6 Hacks für User Research
Hi und herzlich willkommen zu TextHacks! An diesem Morgen müsst ihr ganz stark sein: Die meisten Menschen lesen nicht einmal die Hälfte eines Textes. Das Phänomen ist in diesem Text von Slate unterhaltsam erklärt (von 2013, aber die Aufmerksamkeitsspanne ist nicht gerade größer geworden).
Was bedeutet das? In diesem Newsletter schreiben wir schließlich nicht über Probleme, sondern über Lösungen. (Falls du dir sehr sicher bist, dass DEINE Texte komplett gelesen werden, kannst du gleich weiterscrollen zum zweiten Thema des Newsletters: User Research)
So strukturierst du deinen Text, damit Leute so viel wie möglich mitnehmen
Viele lesen Texte nicht von oben nach unten. Sie starten aufmerksam, aber scannen den Rest des Textes nach Infos.
Folgerung 1: Das wichtigste nach vorne packen. Früher galt: Schlussfolgerung in den letzten Absatz. Online gilt: in abnehmender Wichtigkeit schreiben.
Folgerung 2: Damit die Leute dranbleiben, muss der Einstieg informativ und spannend sein. Ein guter Einstieg kann sein: ein konkreter, interessanter Fakt. ein spannendes Zitat (kein Pressemitteilungsfloskelgedöns). Nach dem Einstieg (1-2 Sätze) den Kern des Textes formulieren, und optional auflisten, was die Leser*innen im Text erwartet.
Nach dem Einstieg springen die Augen.
Folgerung 3: Damit die Augen da hängenbleiben, wo sie sollen, gilt: Textwüsten vermeiden. Viele Absätze machen, spätestens wenn ein neuer Gedanke kommt (ungefähr alle 3-4 Sätze). Textpassagen aufbrechen mit Zwischenüberschriften, Bildern und Infoboxen (ungefähr alle 3 Absätze). Zwischenüberschriften führen sinnvoll durch den Text und bieten Anhaltspunkte.
Du konzipierst neue Text-Formate? Und willst wissen, was deine User davon halten? Dann kommen 6 Hacks für dich, wie deine (User) Research erfolgreich abläuft. Johannes Klingebiel arbeitet als Programm & Design Manager für das Media Lab Bayern. Dort begleitet er Teams aus Medienhäusern bei dem Versuch komplexe Herausforderungen und neue Ideen anzugehen. Davor arbeitete er im Innovationsteam der Süddeutschen Zeitung und schreibt selbst einen etwas unregelmäßigen Newsletter über Medien, Technologie und Design.
1. Recherche ist die Brücke zwischen “gut” und “erfolgreich”
Ich gehe davon aus, dass du gute Ideen hast. Vielleicht sind einige dieser Ideen sogar genial gewesen. All diese Ideen sind jedoch wertlos, wenn sie keinen Erfolg haben.
An dieser Stelle kommt die User Research ins Spiel. Das bedeutet, dass du dich mit den Menschen auseinandersetzen musst, die später lesen/einsetzen/verwenden/konsumieren sollen, was du bauen willst.
Sie hilft dir, deine eigenen blinden Flecken zu finden, Fehlannahmen auszubügeln und Ideen wirklich zu erkunden – nicht nur, ob sie das Potential zum Erfolg haben, sondern auch wie du dahin kommen könntest. (Oder neue Ideen zu finden)
2. Recherche ist strukturierte Neugier
Recherche, insbesondere mit potentiellen Nutzer:innen, ist kein Selbstzweck. Im Gegenteil soll sie dir helfen, informierte Entscheidungen in der Konzeption oder Produktion zu treffen.
Ich empfehle dir, mit einem “Fragenkatalog” zu arbeiten, einer Liste aller unbeantworteten Fragen.
Sammle durchgehend immer alle Fragen, die im Projekt offen sind in einem Dokument
Kategoriere die Fragen in “kritisch”, “wichtig” und “nice to know”, je nach ihrer Dringlichkeit für den Stand des Projekts
Überlege dir insbesondere für die kritischen Fragen, wie du diese beantworten kannst: Wofür reicht eine Google Suche? Wofür musst du mit Expert:innen sprechen? Wofür mit deiner Zielgruppe?
3. Research-Fragen sind keine Interviewfragen
Bei der Vorbereitung eines Interviews ist es unheimlich wichtig im Kopf zu behalten, dass dein Fragenkatalog sehr wahrscheinlich keine guten Interviewfragen macht.
Selbst Expert:innen sind nicht immer gut darin, zu abstrahieren. Versuche stattdessen, ihre individuellen Erfahrungen, Gewohnheiten und Herangehensweisen zu erfragen.
Statt “Wie nutzt du Medien?”, macht es mehr Sinn zu fragen: “Welche Medien nutzt du gerne?”, bzw. noch besser: “Könntest du mich durch deinen Tag führen? Wann nutzt du welche Medien? Und warum?”
4. Ein Interview ist ein einseitiges Gespräch
Ziel eines Interviews ist es niemals, deine Idee zu verkaufen, sondern deine Fragen zu beantworten. Ein paar gute Tipps, um an mehr Information zu kommen:
Schaffe eine lockere und entspannte Situation. Beginne mit Small Talk, lass dein Gegenüber entspannen, gibt einen Kaffee aus. Es ist ein Gespräch, kein Verhör.
Stelle offene Fragen, keine, die sich mit “Ja” oder “Nein” einfach beantworten lassen.
Frage nach und gehe tiefer: “Kannst du mir ein Beispiel nennen?” / “Wie glaubst du, wird sich das weiterentwickeln?” / “Kannst du noch etwas mehr ins Detail gehen?”
5. Stelle dumme Fragen
Niemand will in einer Gesprächssituation wie ein Idiot wirken und stattdessen zumindest das Gefühl geben, halbwegs über ein Thema Bescheid zu wissen. Bei deiner Recherche sind dumme Fragen aber dein mit Abstand bestes Werkzeug:
“Kannst du das mir – als jemand, der sich wenig mit dem Thema auskennt – so einfach wie möglich erklären?”
“Gibt es hier irgendeinen Aspekt, den ich noch nicht im Blick habe?”
“Kannst du mir den Begriff einmal definieren?”
6. Warte nicht mit der Analyse
Warte nie länger als einen Tag damit, ein Interview zu analysieren. Seien dies deine eigenen Notizen oder ein Mitschnitt, je früher desto besser. Achte dabei auf folgende Themen:
Was sind die wichtigsten Themen und Begriffe? Wo finden sich Gemeinsamkeiten?
Was sind die zentralen Hindernisse und Herausforderungen und wie werden diese bisher überwunden?
Wie war die Situation in der Vergangenheit, was ist der aktuelle Stand und wie wird sie sich möglicherweise in Zukunft entwickeln?
Gibt es starke Polarisierungen: was ist erlaubt/verboten, normal/ungewöhnlich, usw.?
Welche überraschenden Themen oder Elemente tauchen bei der Analyse des Materials auf? Gibt es Abweichungen? Ungewöhnliche Meinungen?
Vielen Dank, Johannes! Und weil aktuell Ferien sind und ihr möglicherweise eine Folge verpasst habt, verlinke ich euch die vergangenen vier Folgen:
Liebe Grüße, Anne-Kathrin