Willkommen zu TextHacks! Sensationsstudie zeigt: Leser*innen von TextHacks können besser schreiben, wenn sie abends acht Tafeln Schokolade essen.
Klingt zu schön, um wahr zu sein? Willkommen im Wissenschaftsjournalismus! Diese Folge hat meine ehemalige Chefin geschrieben, Dagny Lüdemann, Biologin und Chefreporterin Wissen bei DIE ZEIT. In dieser Text-Hack-Folge verrät die Wissenschaftsjournalistin Euch 8 einfache Tricks, wie Ihr seriöse Forschung von Science Fiction unterscheidet. Und wo die Grenze zwischen unabhängiger Wissenschaft und Kampagne und PR verläuft.
PS: Wie es sich für gute Wissenschaft gehört, ist dieser Text dreifach geprüft: Danke an Volker Stollorz, Leiter des SMC Deutschland und Sven Stockrahm, Ressortleiter Wissen DIE ZEIT.
8 Hacks für die Wissenschaft
“Forschende haben herausgefunden…”, “Studie beweist…”. Vorsicht, wenn News oder Pressemitteilungen schon so anfangen. Egal, ob ihr selber schreibt oder nur News konsumiert:
Kläre, woher die Geschichte wirklich kommt
New York Times, Spiegel, heise.de, dpa oder Ärzteblatt? Schon mal ein gutes Zeichen, wenn ein für Qualität bekanntes Medium über eine “Entdeckung” oder eine “Studie” aus der Wissenschaft berichtet. Aber denk dran: Du willst die Originalquelle finden, und zwar nicht nur die Pressemitteilung. Konkret: die Publikation, die Veröffentlichung, in der die Wissenschaftler:innen selbst beschreiben, was sie erforscht und herausgefunden haben. Solche Papers erscheinen in internationalen Fachjournalen (PNAS, Nature, Science, BMJ, Proceedings, The Lancet usw. – hier hat Google Scholar* die 100 wichtigsten aufgelistet. Suche also auf Englisch!
Es gibt gar kein Paper? Oder die Publikation ist uralt? Dann besser Finger weg. Eher ungeeignete Recherchequellen sind Websites von Pharmafirmen, private Info-Plattformen, Storys von bezahlten Influencern.
Finde raus, wer dahintersteckt
Je nachdem, wer der Urheber Deiner Originalquelle ist, entscheidest Du, ob es eine Berichterstattung wert ist.
Fall 1: Go for it!
– Urheber:in der Originalquelle ist eine unabhängige Universität, eine internationale Forschungsgruppe, eine renommierte Forschungseinrichtung oder Uniklinik, z.B. Max-Planck-Institut, Fraunhofer-Gesellschaft, Charité, National Institute of Health, Johns Hopkins University: Das ist schon mal top: Gehe weiter zu Punkt 4): “Conflicts of Interest”
Fall 2: So far, so good
– eine Organisation mit staatlichem oder internationalem Auftrag, wie z.B. die Raumfahrtagenturen Nasa oder Esa, die Weltgesundheitsorganisation WHO, die US-Seuchenbehörde CDC, das Robert Koch-Institut (RKI) – das sind zunächst seriöse Quellen. Willst Du tiefer berichten, ziehe zusätzlich Forschende zu Rate, die nicht bei genau dieser Organisation angestellt sind. Denke dran: Auch offizielle Einrichtungen lieben gute PR, hängen von der Politik ihres Landes ab und stellen die eigene Arbeit gern besonders positiv dar.
Fall 3: Maybe
– Eine Forscherin berichtet auf einem Fachkongress von etwas Neuem, eine Arbeitsgruppe (so heißen Forscherteams aus einem oder mehreren Labors und Instituten, die zusammen an einer Sache arbeiten) bringt eine Pressemeldung raus, aber noch ohne Publikation in einem Journal (siehe Punkt 1). Das könnte spannend sein: Aber eine solche Quelle sollte Dir nicht reichen, um das zu berichten. Kläre: Ist es nur eine Einzelaussage? Was sagen nicht beteiligte Forschende des Faches? Und bedenke: Ohne Publikation gab’s noch kein Peer-Review-Verfahren. (Ein was**? siehe Glossar unten)
Fall 4: Handle with Care!
– Das angebliche Forschungsergebnis oder ein Report mit Zahlen und Daten dient als Beleg für eine politische Kampagne der Organisation, die es verkündet (passiert oft bei NGOs wie Greenpeace, Sea Shepherd oder WWF), die “Studie” wurde von einem Unternehmen durchgeführt oder mitfinanziert. Hier gilt: Nicht einfach verwenden, ohne unabhängige Quellen und die Einschätzungen von Wissenschaftlern einzuholen, die nicht für die NGO oder die Firma arbeiten. Und: Zitiere und erwähne diese Experten und schreibe mit rein, warum sie unabhängig sind. (Beispiel: “Die Zahlen aus dem WWF-Report decken sich mit dem, was auch unabhängige Forschung belegt”, sagte die Nashornforscherin Maxine Musterfrau vom Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Sie forscht seit mehr als 20 Jahren an verschiedenen Universitäten zur Wilderei und arbeitet nicht für den WWF.)
Fall 5: Leave it!
– Sagt ein Hersteller eines Produkts: “Neun von zehn Testern hatten das Gefühl, es wirkt”, ist das pure Werbung. Achte zudem darauf, wer sich als Expertin wofür ausgibt: Warnt der Lehrerverband vor Coronaansteckungen im Klassenzimmer oder der ADAC vor Viren im Auto ist das wissenschaftlich weniger brauchbar, als wenn Epidemiologen, Mediziner oder Virologinnen vom Fach dazu etwas sagen. Der ADAC zu Autopannen in Deutschland? Super!
Anzeige
Täglich hunderte Kommentare, mehrere Kanäle, kein Überblick? Moderation im Blindflug kostet Zeit, Nerven – und Vertrauen.
Conversario ist deine zentrale Plattform für Community Management mit Anspruch: kanalübergreifend, datenschutzkonform und KI-gestützt. Egal ob Team-Workflows, Eskalationen oder Antwortvorschläge – du hast alles im Blick und unter Kontrolle.
Frage Dich: Was will der/die Absender:in erreichen?
Firmen wollen etwas verkaufen, NGOs sammeln Spenden für ihre Kampagnen und mancher Autor folgt mit Heilsversprechen oder Warnungen einer Ideologie. Auch Forschende wollen – wie alle Menschen – mit ihrer Arbeit gesehen und zitiert werden. Gute Presse und viel Aufmerksamkeit können beeinflussen, ob sie Geld für weitere Experimente bekommen, zu Kongressen eingeladen oder befördert werden. Umgekehrt gilt natürlich: Eigene Fehler verkündet man lieber nicht so laut. Überlege also immer: Welches Eigeninteresse hat die Absenderin. Und: Es ist immer okay, danach direkt zu fragen.
Suche nach “Conflicts of Interest”
Ein besonderer Fall sind Interessenkonflikte, die Forschende in Publikationen – zumindest in der Medizin – sogar angeben müssen: Hat eine der Forscherinnen selbst ein Patent auf das, was da als Therapie gefeiert wird? Oder hält Aktien der Firma, die dieses Medikament verkauft? Arbeitet der Forscher als Berater für eine Pharmafirma? Oder hat gar die Pharmafirma die Studie bezahlt? Betrug oder Verschleierung solcher Beziehungen wirst Du mit schnellem Googeln kaum aufdecken.
Zwei schnelle Hacks:
a) Suche in der Publikation selbst nach dem Begriff Conflicts of Interest (STRG+F!). Findest Du welche: Vorsicht mit dieser Arbeit als Quelle (siehe Punkt 3).
b) Google die Autor:innen einmal schnell: Oft wird deutlich, wie eng die Personen z.B. mit Unternehmen verwoben sind. Und Du merkst, falls jemand gerade vor Gericht steht, umstritten ist oder womöglich aktuell verstorben ist (alles schon vorgekommen im Redaktionsalltag).
Fall nicht auf das pure Wort “Studie” rein
Klingt super seriös, aber was heißt “Studie” genau? Jeder darf alles Studie nennen. Also aufgepasst bei Umfragen, Testkäufen, Unternehmensreports und anderen Berichten, die als “Studien” in Pressemitteilungen auftauchen. Oft steckt gar keine Arbeit nach wissenschaftlichen Standards dahinter. Manchmal ist es Werbung. Manchmal eine Kampagne.
Deep Dive – das Fallbeispiel “Glyphosat im Bier”:
Erinnerst Du Dich an die Skandal-Meldung über eine “Studie”, die “Glyphosat im Bier” nachgewiesen hatte? Diese News basierte auf einem Testkauf durch das Umweltinstitut München (klingt nach Forschung, ist aber ein Verein gegen Atomkraft und Gentechnik), bei dem herauskam, was zu erwarten war: Da Glyphosat-Rückstände überall in der Umwelt sind, wo Getreide wächst, finden sie sich auch im Bier. Keine echte Studie. Keine Überraschung. Bier dadurch nicht giftig. Trotzdem brachten Medien die News, als hätten “Forscher bewiesen”, dass “Bier mit Pestiziden verseucht” und damit direkt gesundheitsschädlich sei.
Merke: Kaufen Verbraucherschützer:innen im Supermarkt ein paar Dutzend Lebensmittel und schicken diese zur Analyse auf Schadstoffe ins Labor, ist das keine wissenschaftliche Arbeit. Das Vorgehen folgt keinen wissenschaftlichen Standards. Und es dient einer Kampagne im Sinne der NGO. Die Ergebnisse sind weder unabhängig noch allgemeingültig. Du willst trotzdem darüber berichten? Dann rufe unabhängige Forschende und Institute an, die zu Schadstoffen in Lebensmitteln forschen und recherchiere, welche fundierten und unabhängigen Forschungsarbeiten es zum Thema gibt.
Hüte Dich vor Durchbrüchen und Meilensteinen
“Sensation”, “Durchbruch”, “Meilenstein” – Vorsicht, wenn Forschende ihre Arbeit so bewerben! Gute Wissenschaftler:innen sind sich bewusst darüber, dass jede Studie, jedes Ergebnis nur ein Puzzleteil auf einem langen Weg der verlässlichen Erkenntnis ist. Das erklärt auch, warum in einer Klimastudie (oft sind das Modelle, also Computerprognosen) der Meeresspiegel mal 3 Meter in 100 Jahren steigt – in einer anderen nur 2 Meter. Hier hat nicht einer Recht, einer Unrecht. Es sind Näherungswerte, je nach Voraussetzungen, die man ins Modell eingibt. Wer wissen will, wie es ums Klima steht, muss also hunderte Studien auswerten und schauen: Was ist Konsens? Was kann als recht sicher gelten? Welche der Studien war methodisch besser, welche schwächer? Dass der Meeresspiegel steigt, ist unstrittig. Um wie viel, wissen wir heute nur annäherungsweise.
Eine Publikation verkündet also keine unumstößliche Wahrheit, sondern ist eher so etwas wie ein Beitrag zu einer sich selbst korrigierenden weltumspannenden Wissensansammlung darüber, wie etwas sein könnte. Über Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte, zeichnet sich das ganze Bild. Kleine Ausnahme sind reine Entdeckungen: Neue Affenart in Kolumbien entdeckt? Und die sieht völlig anders aus als alle bekannten Affen? Es gibt ein echtes Foto oder gar DNA-Proben? Na, dann wird es so sein. Und eine echte Sensation war die Entdeckung der Gravitationswellen, die Einstein 100 Jahre zuvor berechnet hatte. Fast alles andere, was täglich durch die News schwirrt, sind keine Durchbrüche und Meilensteine.
Frag eine, die sich damit auskennt
Gute Quelle, echte Studie, keine Interessenkonflikte und das Thema wirkt neu? Dann rufe jetzt eine/n Expert/in an.
Dabei wichtig:
Dein Experte, die Expertin sollte selbst zu der Sache forschen. Der Pressesprecher ist nicht Dein Experte, die Institutsdirektorin oft auch nicht.
Wenn Du Dir eine Studie von den Autoren (Achtung, die sind natürlich auch befangen) erstmal erklären lässt (das ist oft sinnvoll!), ziehe später unabhängige externe Forschende hinzu zur Einordnung: Leute, die nicht am selben Institut arbeiten. Am besten international!
Nutze den Expertinnen-Makler des Informationsdienstes Wissenschaft (IDW) – hier kann man Forschende über hunderte Pressestellen von Unis und Instituten anfragen – mit einer zentralen Anfrage. Geht fix! Auch tagesaktuell!
Nutze das Science Media Center (SMC) Deutschland: Hier machen Wissenschaftsjournalist:innen bei einigen News aus der Forschung den Job schon vorab für Dich und senden seriöse Einschätzungen von Experten raus. Abonnier das!
Just saying: Nur, weil jemand oft im TV ist oder viele Follower hat, ist das kein Qualitätsmerkmal. Oft sogar das Gegenteil.
Und was ist mit ChatGPT?
ChatGPT und ähnliche KI-Maschinen spucken keine absolut verlässlichen Antworten auf Recherchefragen aus – sie erfinden sogar Autorinnen und Studien! Selbst wenn Du gezielt nach validen Studien fragst, klappt es bisher nur bedingt. Aber die Sprachmodelle helfen dir zum Einlesen in ein Thema, zum Verarbeiten von Informationen, beim Strukturieren Deiner Arbeit oder beim Redigieren und Kürzen.
GLOSSAR:
*Was ist Google Scholar?
Die Suche auf Google, mit der Du gezielt nach wissenschaftlichen Publikationen, wir Science-Nerds sagen “Papers” aus “Journals”, suchen kannst. Findet nicht alles, aber für Erstrecherche super! Und nebenher bekommt man einen ersten Eindruck, wie oft Publikationen eines Forschenden von anderen Wissenschaftlern zitiert wurden: ein Hinweis auf die Relevanz seiner Arbeit.
**Was ist ein Peer-Review-Verfahren?
Peer-Review ist ein Gutachterverfahren, das jede gute Fachzeitschrift nutzt und heißt: Forschende desselben Fachgebietes prüfen eine wissenschaftliche Arbeit, um sicherzustellen, dass sie methodisch und fachlich korrekt und relevant ist, bevor sie in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wird.
Dagny Lüdemann hat Biologie studiert, volontierte beim Tagesspiegel, leitete zehn Jahre lang das Wissensressort von ZEIT ONLINE. Heute schreibt sie dort als Chefreporterin für Print und Online über Natur und Neues aus der Forschung und unterrichtet Volontäre an der Holtzbrinck-Journalistenschule. Sie ist Trägerin des Universitas-Preises – der größten deutschen Auszeichnung im Wissenschaftsjournalismus.
Danke Dagny! Und jetzt ab in die Hitzewoche, gegen hohe Temperaturen hilft nur: Füllwörter streichen. Liebe Grüße, Anne-Kathrin
vielen dank, wichtiges thema - vielleicht eine ergänzung: es wird hier nicht von der wissenschaft als ganzes gesprochen, sondern von den naturwissenschaften. es ist mir wirklich immer noch ein rätsel, warum die geistes- und sozialwissenschaften im wissenschaftsjournalismus so gut wie nie vorkommen.
Empfehlung: The Science of Detecting Bullshit. Ein Skill das more important ist than ever! See: https://dsgf.substack.com/p/ferngesteuerte-ameisen-und-die-kunst?r=aqk2n