Hi und willkommen zu Texthacks. Diese Woche möchte ich starten mit ein paar Gedanken kluger Menschen zur Frage: Welche Worte benutze ich, um über die aktuelle Krise zu berichten? Ich bin keine Expertin für dieses Thema, deshalb folgen hier ein paar Links. Diese enthalten keine finalen Antworten, aber Anstöße zu Diskussionen:
🇺🇦 Die Slawistin und Journalistin Gesine Dornblüth sagt im Deutschlandfunk: “Es ist bereits ein Fortschritt, dass die Außenministerin von einer Russlandkrise spricht und nicht mehr von einer Ukrainekrise. Ich spreche schon seit Langem von einer russischen Aggression. Denn nichts anderes ist es, was wir da sehen.” Sie steht auch dem Begriff “prorussische Separatisten” kritisch gegenüber.
🇺🇦 Unabhängig vom Thema gilt immer: Vorsicht davor, Formulierungen von Politiker*innen zu übernehmen. Damit übernimmt man (unbewusst) deren Perspektive. Meedia hat zum Beispiel aufgedröselt, wie das Wort “Militäroperation” aus Putins Rede in die deutschen Medien gelangt ist.
🇺🇦 Momentan sehe ich viele Nachrichten voll von “he said, she said”, Putin sagt heute dies, morgen jenes. In den allermeisten Fällen in Anführungszeichen gesetzt, in vielen Fällen folgt die Gegenposition des ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Trotzdem stellt sich die Frage: Was bringen diese Aneinanderreihungen? Ich würde mir weniger Zitate und mehr Einordnung wünschen, alleine deshalb, weil vielen Menschen grundlegendes Hintergrundwissen fehlt, warum eigentlich gerade was passiert.
🇺🇦 Auch immer wichtig, nur weil Menschen sagen, dass sie etwas denken oder zu etwas bereit sind, sollte man diese Aussagen nicht im Indikativ übernehmen.
4 Hacks für Ich-Texte
Über die heutige Expertinnenfolge freue ich mich so sehr. Michèle Loetzner ist seit vielen Jahren freie Journalistin und Textchefin. Ihre Ich-Geschichten wurden für mehrere Preise nominiert. Aktuell arbeitet sie als Textchefin für die deutsche VOGUE. Hier folgen ihre Hacks:
Foto: Christian Brecheis
📍Deine Geschichte sollte eine Blaupause für die Erfahrungen anderer sein können. Nimm dich deshalb nicht so wichtig. Stelle immer wieder einen Bezug zur Allgemeinheit her, zum Beispiel durch Daten, Studien, Zahlen.
📍Beschreibe Gefühle ehrlich und konkret, weder mit Plattitüden noch mit verrückten Metaphern. Beschreibe sie detailliert nacheinander, nie verallgemeinernd.
📍Suche dir eine gute Klammer, mit der du einsteigst, aber auch aussteigst.
📍Sei dir im Klaren darüber, dass Ich-Texte auch immer Emotional Labour bedeuten. Zum einen, weil du dein Innerstes nach außen kehrst und dich somit verletzlich und angreifbar machst. Zum anderen, weil dir Menschen auf Social Media und per Email ungebeten von ihren eigenen Erfahrungen erzählen werden. Setze deshalb freundlich Grenzen. Ich antworte zum Beispiel oft mit „Vielen Dank für deine Nachricht. Ich darf dir hierzu aber keine Einschätzung geben, denn ich bin Journalistin, nicht ausgebildete Therapeutin.“ Sei dabei immer achtsam, nie genervt. Für diese Menschen bedeutet es oft sehr viel, ihre Gefühle mit jemandem teilen zu können.
Vielen Dank, Michèle. Das wird nicht die letzte Folge mit ihr sein, so viel sei schonmal verraten. Kommt gut durch diese Woche, liebe Grüße, Anne-Kathrin