Zu langweilig für deine Freunde? 11 Hacks für Lokaljournalismus, der interessiert
Unter 100 Klicks? So vermeidet ihr Texte, die niemand liest
Willkommen zu TextHacks! Heute mit einer besonderen Folge, die mich ein bisschen stolz macht:
Ich freue mich mega, zu verkünden, dass mein erstes Spin-Off am Start ist, in Kooperation mit dem MADSACK Mediencampus. Ein Jahr lang bekommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von MADSACK jede Woche eine Newsletterfolge, die MMC-TextHacks. Plus: Ich werde hier im Newsletter regelmäßig auf Stellenanzeigen von MADSACK hinweisen. Ich habe selber mein Volo im Lokaljournalismus gemacht, meine ersten Artikel im Lokalteil Euskirchen geschrieben und gleichzeitig verfolgt, wie sich der Lokaljournalismus neu erfindet.
Darüber schreiben in der heutigen Ausgabe zwei langjährige Abonnenten und TextHacks-Supporter: Hannah Suppa (Chefredakteurin) und Josa Mania-Schlegel (Reporter im Investigativ-Team) von der Leipziger Volkszeitung:
11 Hacks für Lokaljournalismus, der jeden interessiert. Auch Deine Freunde.
Weniger ist mehr – lass los!
Das Marie-Kondo-Prinzip hilft auch bei Texten: „Does it spark joy?“ – oder kann das weg? Räume konsequent bei Deinen Themen, aber auch in Deinen Texten auf. Früher haben wir im Lokaljournalismus viele Texte nur geschrieben, um die gedruckte Zeitung zu füllen. Das war auch da nie gut – doch das Internet verstopfen wir mit irrelevanten Meldungen, die keiner wissen will (außer vielleicht 5 Vereinsmitglieder, die involviert sind). Macht nur Texte, die auch digital eine Relevanz haben. Wenn ein Text schon in der Themenentwicklung droht, ein „Uhu“ („Unter 100 Klicks“) zu werden, dann lass es sein.
Schreibe jeden Text so, dass jeder neu ins Thema einsteigen kann
Früher waren Zeitungen Fortsetzungsromane: Eine Geschichte entwickelte sich über Tage, Wochen oder sogar Monate in vielen, kleinen Häppchen – und der Print-Abonnent konnte fast täglich eine neue „Folge“ lesen. Heute steigt der Mehrheit der digitalen Leser mittendrin ins Thema ein. Jeder Text muss also auch für sich selbst stehen können. Daraus ergibt sich auch ein Relevanz-Check: Dauert die Einführung ins Thema länger als die Nachricht selbst, ist es vielleicht keine Nachricht.
Würdest Du das selbst teilen oder Deinen Freunden weitererzählen?
Diese Frage ist wichtig. Es geht darum, dass du wirklich hinter deinem Thema stehst – und bei der Recherche selbst neugierig bist auf das, was du erfahren kannst. Wenn Du dein eigenes Thema nicht mit Begeisterung Bekannten bei WhatsApp weiterschicken würdest, weil Du es für relevant und interessant hältst, warum sollten andere es tun?
Dein Job: Übersetzer!
Behörden, Institutionen und Unternehmen verklausulieren die Welt gerne mal. Manchmal, um Tatsachen zu ihren Gunsten zu verstecken. Lass das bloß nicht so stehen. Wenn es dir gelingt, kommunale Gesetze und amtliche Verordnung für alle begreiflich zu machen und die Wahrheit aus dem Dschungel der Amtssprache zu entführen, steigt auch die Relevanz deiner Berichterstattung.
Hab Respekt vor der Zeit deiner Leser
Wir Journalisten stellen uns jeden Tag Fragen und gehen vielen auch nach. Aber nicht alles muss aufgeschrieben werden. Ergeben deine Nachforschungen, dass es dieses Jahr kein Böllerverbote gibt, kann man sich den Text sparen – und die Zeit für die nächste, vielleicht wichtigere Recherche nutzen. Respekt vor der Zeit der Leser, heißt auch: Langweile sie nicht mit Floskeln oder ewigen Einstiegen. Erkläre und erzähle gut und auf den Punkt.
Lauf offen durch die Welt und finde Geschichten
An einer Straßenecke stapeln sich alte Weihnachtsbäume? Ein Geschäft hat einen Zettel ins Schaufenster gehängt und weist auf die schwierige Lage des Einzelhandels hin? Gut möglich, dass das auch anderen aufgefallen ist – und jetzt viele neugierig auf die Hintergründe sind. Die besten Geschichten liegen auf der Straße, dieser Satz stimmt wirklich. Manchmal muss man dafür seine Eitelkeit ablegen: Was eh alle sehen können, kann doch nicht mein Job sein? Doch, manchmal gerade deshalb.
Keine Angst vor schwierigen Menschen – oder Gegenwind
Manche Menschen wollen nicht mit uns reden. Als Rechercheure müssen wir aber alle Stimmen hören – und auch Menschen auf Augenhöhe begegnen, die etwa für eine problematische Sache auf die Straße gehen. Meist hilft Einfühlungsvermögen: Was bewegt die Person? Wovon ist sie überzeugt? Begegne Menschen stets mit Respekt, welche inhaltliche Position sie auch haben mögen. Wer das bedenkt, kriegt oft auch eine Antwort. Manchmal kommt auch nach Erscheinen Gegenwind. Das gehört dazu. Wer handwerklich und menschlich sauber arbeitet, kann mit der Redaktion jede Empörung aushalten. Wir müssen niemandem gefallen.
Liebe auf den ersten Blick: Finde den Dreh!
Die beste Geschichte der Welt geht unter, weil der Dreh nicht stimmt. Daher unbedingt vor der Recherche klarmachen: Welche dringende Frage wirft mein Text auf? Was kann ich recherchemäßig als Antwort liefern? Beim Schreiben gehört das alles an den Anfang und muss zudem perfekt komponiert sein – weil viele vielleicht zum allerersten Mal von meinem Thema hören. Wer sich hier falsch dreht, kriegt den Leser erst einmal gar nicht.
Trau Dich – und probiere Formate und Perspektiven
Manche Themen lassen sich fix auf dem Rückweg von der Recherche aufschreiben. Aber nicht jedes Thema ist ein schnöder Bericht. Alternative Erzählformen gewinnen immer mehr an Bedeutung: Streitgespräch zwischen Lesern, Pro und Contra zwischen Autoren, ein Essay, ein Frage- und Antwort-Stück, das dem Leser Struktur gibt – oder der Podcast mit vielen Episoden zu einem Thema. Frage dich schon während der Recherche nach der Form.
Flughöhe wie Ikarus: Mehr Meta!
Nachrichten sind wie leere Kohlenhydrate: Schnell konsumiert, machen aber nicht wirklich satt. Eine Geschichte, die in Erinnerung bleibt, braucht also Flughöhe. Die erzeugt man etwa durch eine dosierte Autorenstimme: Was bedeutet das alles? Für welche größere Geschichte steht der Text? Wer bloß Zitate aneinanderreiht, erzeugt keinen Tiefgang. Aber Achtung: Wer Flughöhe erzwingt, die Geschichte aber nicht mitfliegt, endet wie Ikarus.
Kenne Deine Zahlen – und höre auf sie
Manche Journalisten gucken mit Verwunderung oder Sorge auf Klick- und Abo-Zahlen. Sollen uns jetzt die Zahlen diktieren, was wir journalistisch tun? Ja! Auch. Denn der Blick aufs Dashboard führt nicht in den Abgrund, sondern führt uns näher zum Publikum: Nur weil oft Polizei-, Stau-, Service- oder Restauranttipps oft die Charts anführen, ist das Dashboard nicht der Feind. Steckt hinter den Meldungen vielleicht eine größere Geschichte zur Sicherheit, Kriminalität in den Stadtteilen, die wir größer und fundierter aufgreifen können? Kann man aus den Restauranttipps vielleicht ein digitales Engagement-Format entwickeln und spannende Gastronomen porträtieren? Und wenn eine boulevardeske Nachricht viral geht: Könnte man ihr vielleicht seriöser nachspüren? Journalismus ist für das Publikum. Wird etwas nicht gut gelesen, war es womöglich die falsche Zeile, der falsche Dreh, zu kompliziert aufgeschrieben – oder ist einfach kein Thema für die Menschen. Prüft immer zuerst Euch und Euren Angang zum Thema – und schimpft nicht auf Leserinnen und Leser und ihre Lesegewohnheiten. Die Erfahrung zeigt: Auch große, komplexe Recherchen finden ein großes Publikum – wenn das Thema für die Menschen wirklich relevant ist.
Stellenanzeige:
Habt Ihr Lust auf Lokaljournalismus bekommen? Ihr könnt bei der Leipziger Volkszeitung und anderen Titeln der MADSACK Mediengruppe beispielsweise ein Volontariat machen – bewerbt Euch dafür bis zum 31. März 2025 beim MADSACK Mediencampus: https://www.madsack-medien-campus.de/volontariat/
Ihr wollt mehr von Josa und Hannahs Team in Leipzig lesen? Dann abonniert doch die Newsletter „5in5 Leipzig“, „Josas Heiterblick“ oder „Politik in Sachsen“ kostenlos – oder hört einmal in die Podcast-Story „Allein unter Sachsen“ rein.
Vielen Dank, Hannah und Josa! Ich habe die Zeit, in der ich keine Folge schreiben musste, mit der Bestellung vom ersten Merch verbracht. Die Poster sind im Druck und hoffentlich ganz bald da…
Liebe Grüße, Anne-Kathrin
Klasse newletter. Habe ihn gerestacked.
Ich bin kein Journalist, versuche aber Journalisten für meine Themen zu gewinnen. Kann ich, wenn ich das oben Beschriebene gekonnt anwende, an Lokaljournalisten herantreten und denen Texte als Apetizer schicken?
Zu den 11 Hacks: 1. Man sollte "Uhus" vermeiden. Wie erkennt man Uhus?
2. Der Tipp mit der Flughöhe mag hilfreich sein, nur sollte erklärt werden was "Flughöhe" ist und was man dafür wie tun kann.