Hey und herzlich willkommen zu Texthacks! Diese Woche freue ich mich mal wieder über einen Gastbeitrag, bei dem ich selber viel gelernt habe. Als ich Raúl Krauthausen die Anfrage schickte, habe ich minutenlang rumhantiert mit meinen Formulierungen, was sollte ich schreiben: “Menschen mit Behinderungen” oder was ganz anderes? Ich weiß jetzt: Ich darf und ich soll schreiben: behinderte Menschen. Warum? Das erklärt er am besten selber. Davor gibt’s fix 3 Hacks, nach denen Menschen diesen Newsletter abbestellen könnten.
3 Hacks, die Schönschreibern in den Augen wehtun
✔️ Fette wichtige Stellen im Text. Das mag designtechnisch nicht besonders elegant sein, aber hilft in Texten, die vor allem eine Funktion haben: schnell die wichtigsten Infos zu vermitteln. Das können Veranstaltungshinweise sein aber auch Liveblogs in Breaking-News-Situationen. Was bringen Fettungen? Niemand liest den gesamten Text, die Augen springen vielmehr. Und sie bleiben hängen an: Zwischenüberschriften und Fettungen.
✔️ Wiederhole wichtige Infos. “Das steht doch schon im ersten Absatz.” Solche Sätze habe ich oft gehört, wenn ich an Textstellen geschrieben habe: Das verstehe ich nicht. Ja, mag sein, aber der erste Absatz ist bereits 27 Absätze her. Und umso komplizierter der Text, umso wichtiger ist, dass die Leser*innen an wirklich jeder Stelle im Text folgen können.
✔️ Reduziere deine Wortbilder. Die wenigsten Metaphern sind wirklich gut oder funktionieren. Nutze sie nicht, damit dein Text sich “schöner liest”. Wichtiger als schön schreiben ist immer: einfach schreiben. Wenn du einen komplizierten Zusammenhang mit einem Vergleich einfacher erklären kann: Tu das. Wenn du mehr als eine Metapher innerhalb von drei Absätzen nutzt: entscheide dich für eine. Oder null.
Darf ich behindert sagen?
Diese Frage beantwortet Raúl Krauthausen. Als Inklusions-Aktivist und Gründer der Sozialhelden, studierter Kommunikationswirt und Design Thinker arbeitet Raúl Krauthausen seit über 15 Jahren in der Internet- und Medienwelt. Folgt ihm auf allen Kanälen, außerdem hat er nicht nur einen, sondern MEHRERE Newsletter und Podcasts und ein Buch herausgebracht: “Wie kann ich was bewegen” über konstruktiven Aktivismus.
Credit: Anna Spindelndreier
Die Frage, ob man behindert sagen darf oder nicht ist immer wieder Thema, aber jüngst durch ein ungeschicktes Interview von Schauspieler Wotan Wilke Möhring neu entfacht. Im Film “Weil wir Champions sind” spielte er den Trainer einer Basketballmannschaft, die aus behinderten Sportler*innen besteht. Möhring selbst weigert sich aber zu sagen, dass seine Co-Stars behindert sind, denn das empfinde er als "intolerante und [...] unzureichende Bezeichnung. Eine, die ausschließlich das hervorhebt, von dem wir glauben, was diese Menschen alles nicht können, wo sie eingeschränkt sind, be-hindert sind."
Das ist in etwa so, als würde er sich weigern, Frauen, die Dörte heißen, beim Namen zu nennen, weil er findet, dass das beleidigend sei. Weder heißt er selbst Dörte, noch gibt er Dörte die Möglichkeit zu sagen, ob sie sich wirklich diskriminiert fühlen. Er stellt einfach eine Behauptung in den Raum und nutzt seine Plattform, um - an Dörte vorbei - den Diskurs zu bestimmen und Verwirrung zu stiften.
So in etwa fühlt sich die Debatte gerade an, ob man behindert nun sagen darf oder nicht. Die kurze Antwort: Natürlich soll und muss Behinderung dort benannt werden, wo sie stattfindet. Etwas anderes ist faktisch nicht korrekt und verwässert daher, worüber wir eigentlich sprechen. Wieso präzise Sprache relevant ist, ist eine etwas längere Antwort.
Kommunikationswissenschaftler*innen sagen, die Botschaft einer Nachricht bestimmt der Empfangende. Das heißt aber nicht, dass die Botschaft, die ich sende, daher egal ist. Wenn ich verstanden werden möchte, muss ich meiner Aussage so wenig Interpretationsspielraum lassen, wie möglich. Denn unsaubere Formulierungen erhöhen das Risiko, missverstanden zu werden. Wenn ich also Behinderung meine, muss ich auch Behinderung sagen.
Ich weiß, viele Menschen scheuen sich davor. Da wird dann kurz im Satz gestockt, sich geräuspert, unbeholfen gestikuliert und statt behindert sowas gesagt wie: handicap, herausgefordert oder anders begabt. Das klinge irgendwie netter.
Welche Wörter Schaden anrichten
Ja, Euphemismen mögen auf den ersten Blick wie eine gute Möglichkeit wirken, negative Implikationen des Behinderten-Begriffs zu vermeiden. Das ist jedoch ein Irrtum. Wo statt behindert besonders, mit Handicap, anders-begabt, mit speziellen Bedürfnissen gesagt wird, dort wird sogar Schaden angerichtet. Eine Studie von Forscher*innen an der University of Wisconsin-Madison und der University of Kansas bestätigt dies. Menschen, die als special need (zu Deutsch: mit speziellen Bedürfnissen) bezeichnet werden, werden stärker diskriminiert, als Menschen, die als has a disability (zu Deutsch: hat eine Behinderung) beschrieben werden.
Gerade, weil die Formulierung spezielle Bedürfnisse so universell eingesetzt wird, lässt sie enormen Raum für Interpretation. Geht es hier um eine Erdnussallergie, eine Schwangerschaft oder ist der Mensch schwerst mehrfach behindert? Die Beschönigung führt dazu, dass Menschen mit diesen speziellen Bedürfnissen negativer wahrgenommen und schlechter behandelt werden.
Darüber hinaus kann die Formulierung auch instrumentalisiert werden. Wo “spezielle Bedürfnisse” gesagt wird, da findet Segregation statt. Dort wird suggeriert, dass die mit diesen speziellen Bedürfnissen grundlegend anders sind und woanders hingehören. Und so wird am Ende auch die Spezialschule, der Spezialtransport, die Spezialeinrichtung gerechtfertigt. Das ist Exklusion. Die Bedürfnisse von behinderten Menschen sind jedoch alles andere als speziell oder extravagant. Wir möchten teilhaben und teilgeben, genau wie jede*r andere auch! Dabei sein! Inklusion eben! Das ist nicht speziell, das ist ein Grundrecht. Eins, das uns noch immer viel zu oft verwehrt wird.
Ich bin dankbar, dass es den Begriff Behinderung gibt. Ich bin dankbar, dass wir Menschen, die eine Behinderung haben, als solche auch benennen können. Wenn wir zu sehr verwässern, was Behinderung ist, werden behinderte Menschen als erstes vergessen.
Erst, wenn wir überall mitgedacht werden und Zugang zu allen Aspekten öffentlichen und privaten Lebens haben, kann man darüber nachdenken, sich von den Begrifflichkeiten zu lösen. Solange jedoch Diskriminierung und Marginalisierung stattfinden, muss das Kind beim Namen genannt werden.
Ja, ich bin behindert, weil ich nicht laufen kann. Ich werde aber vor allem behindert, weil ich tagtäglich auf Barrieren treffe. Behinderung ist also immer ein Zusammenspiel aus der eigenen Einschränkung und der Umgebung.
Vielen Dank, Raúl. Wenn ihr bei diesem Text genauso viel gelernt habt wie ich, scrollt nochmal kurz hoch, und folgt ihm auch wirklich auf allen Kanälen. Und jetzt: happy Monday. Viele Grüße, Anne-Kathrin
Danke für diesen großartigen Text, lieber Raúl! Ich muss gestehen, ich gehörte bislang zu den Menschen, die auch nicht recht wussten, wie ich es denn nun korrekt sage, und das Wort 'Behinderung' oder 'behinderter Mensch' lieber umständlich umschifft haben.
Sehr geehrte Frau Gerstlauer,
bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass der sprachliche Umgang bzgl. der Behinderung / Mehrfachbehinderung eines Menschen in Deutschland eigentlich kein Thema mehr ist.
Dazu die drei relevantesten Fakten:
1) Die Spezies Mensch, als Individuum UND Subjekt, steht in der Kommunikation immer vorne an, d.h., ein Mensch mit Behinderung(en) wäre einzig richtig, weil der Mensch dadurch
a) direkt angesprochen wird, sich als solcher angesprochen fühlt und damit im Fordergrund steht sowie
b) seine individuellen Merkmale, bspw. eine Behinderung, nur ergänzend erwähnt werden, insofern tatsächlich in jedem Einzelfall nötig.
In der Pädagogik und im Gesundheitswesen, bpsw. bei der Betreuung vom Menschen mit Demenz, eigentlich Usus.
2) Der Begriff "Behinderung" beinhaltet in Deutschland feststehende Rechtsbegriffe, bspw. SGB oder BGB usw. Er bezieht sich jeweils auf die drei Säulen Körper, Geist und Seele, somit auch die Unterschiede in der einfachen Behinderung oder Mehrfachbehinderung. Ein "darf" wäre hier u.U. fatal, daher ein muss, um das Verständnis gleich zu halten.
3) Benutzt man, Zitat: "behinderter Mensch", so wird damit zum Ausdruck gebracht, dass
a) nicht der Mensch im Fordergrund steht, sondern sein/e Merkmale: die Behinderung(en), damit wird er automatisch zum Objekt,
b) ich stigmatisiere diesen Menschen über sein Merkmal der Behinderung und nehme mir überdies als Steigerungsform ungefragt das Recht heraus, über diesen Menschen zu meinem Vorteil zu berichten,
c) und ja, da gibt es natürlich auch den Artikel 3 GG.
Bisweilen hilft auch der frühzeitige gedankliche Rollentausch. Bspw. über die Frage, wie ergeht es mir, wenn ich als "Behinderter" betitelt / bewertet werde?